Als Schachspielerin kenne ich den Zustand tiefster Konzentration und Hingabe sehr gut. Oft versinke ich stundenlang in meiner Schachpartie und bekomme von der Umwelt wenig mit. Die Wissenschaft bezeichnet dieses Erleben als Flow-Zustand und geht davon aus, dass sich dieser positiv auf die Leistung auswirkt sowie langfristig die (mentale) Gesundheit verbessert.
Gute Gründe dafür, einen Flow-Zustand auch im Arbeitsalltag anzustreben. Allerdings trifft man hier auf andere Rahmenbedingungen als beim Schach: Nachrichten, Anrufe, Meetings – selten hat man genügend Zeit und Ruhe, sich auf eine Sache zu konzentrieren.
Die folgenden 5 Strategien aus dem Schach-Leistungssport helfen dir dabei, auch im Berufsalltag in den Flow-Zustand zu kommen. Zu jeder Strategie gibt es einen konkreten Umsetzungstipp sowie Methoden, um Fokus, Produktivität und Flow im Arbeitsalltag zu fördern.
1. Klare Ziele festlegen
Bei einer Schachpartie ist das Ziel klar: ich möchte in der zur Verfügung stehenden Zeit meine:n Gegner:in besiegen. Die Zeit wird auf der Schachuhr angezeigt und läuft nach und nach ab. Wenn meine Zeit verbraucht ist, habe ich verloren – Ziel verfehlt.
Somit ist klar, dass volle Konzentration erforderlich ist und sich jede Ablenkung negativ auf die Leistung und den Ausgang der Partie auswirkt. Diese Rahmenbedingungen (klares Ziel + begrenzte Zeit) motivieren mich, ganz in die Partie einzutauchen und dabei Raum und Zeit zu vergessen.
Im Arbeitskontext sind Ziele nicht immer so greifbar und zeitlich begrenzt. Daher hilft es, große Projekte in kleinere, konkrete Aufgabenpakete zu unterteilen und für diese dann einen zeitlichen Rahmen festzulegen. Statt der Aufgabe „Präsentation vorbereiten“ könnte man also mehrere konkrete Teilaufgaben definieren: Themenrecherche 2h, Erstellung einer Gliederung 90min, Präsentation erstellen 3h, Präsentation üben 60min.
Tipp für die Umsetzung:
Setze dir Ziele für verschiedene Zeithorizonte: die Woche, den Tag und sogar für die nächsten 60 Minuten. Block dir dafür am besten Fokuszeiten im Kalender (siehe nächster Tipp) – das erhöht die Chance, dich ungestört auf dein Zwischenziel fokussieren zu können.
Methoden:
- SMART-Methode: Formuliere Ziele spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert.
- Priorisierung mit Eisenhower-Matrix: Unterscheide zwischen dringenden und wichtigen Aufgaben, um den Fokus gezielt zu setzen.
2. Fokuszeiten blocken
Im Schach widmet man sich während einer Partie nur einer einzigen Aufgabe – dem Spiel. Keine parallelen Termine, kein Multitasking.
Im Berufsalltag ist das schwieriger, aber nicht unmöglich. Fokuszeiten, also Zeitfenster, in denen man sich vollständig auf eine Aufgabe konzentrieren kann, sind Gold wert für ungestörtes Arbeiten. Solche Phasen lassen sich bewusst in den Kalender eintragen – und sollten wie wichtige Meetings behandelt werden: unantastbar.
Tipp für die Umsetzung:
Plane mehrere Fokuszeiten pro Woche ein, die jeweils 60-90 Minuten dauern. Kommuniziere diese Zeiten klar an dein Team und mache deutlich, dass du in dieser Zeit nicht gestört werden möchtest. Stelle alle Benachrichtigungen auf stumm – keine eMails, Nachrichten oder Anrufe sollten währenddessen im Sichtfeld erscheinen (siehe nächster Tipp).
Methoden:
- Time-Blocking: Plane jeden Abschnitt deines Tages im Kalender, um sicherzustellen, dass Fokuszeiten einen festen Platz haben.
- Pomodoro-Technik: Arbeite in 25-Minuten-Intervallen mit kurzen Pausen dazwischen, um die Konzentration zu fördern.
3. Ablenkungen minimieren
Schachturniere bieten ideale Bedingungen für Flow: Elektronische Geräte sind verboten und es darf nicht gesprochen werden. Zuschauende, die sich zu nah ans Brett vorwagen oder gar störende Geräusche von sich geben, werden vom Schiedsrichter ermahnt und ggf. aus dem Raum begleitet. Diese „Turnierruhe“ kann mit ein paar Vorbereitungen auch im Arbeitsalltag erreicht werden.
Für konzentrierte Arbeitsphasen empfiehlt sich ein fester Platz, an dem du ungestört arbeiten kannst. Falls du im Großraumbüro arbeitest, kannst du vielleicht für die Zeit einen Meetingraum nutzen oder dir eine ruhige Ecke suchen. Oder du verwendest Noise-Cancelling-Kopfhörer.
Schalte während deiner Fokuszeiten Benachrichtigungen auf deinem Handy und Computer aus. Lege dein Smartphone außer Reichweite und nutze Tools wie „Do Not Disturb“ oder spezielle Apps, die den Zugang zu ablenkenden Webseiten blockieren.
Um auch außerhalb der Fokuszeiten nicht ständig abgelenkt zu werden, kannst du dir feste Zeiten für das Lesen und Beantworten von Nachrichten einplanen – zum Beispiel vormittags und nachmittags jeweils eine halbe Stunde. So bestimmst du aktiv, wie du deine Zeit investierst und welche Aufgaben im Fokus stehen, statt auf jede aufblinkende Nachricht direkt zu reagieren.
Tipp für die Umsetzung:
Richte dir einen festen Arbeitsplatz ein, an dem du möglichst wenig Ablenkungen ausgesetzt bist. Schalte alle Benachrichtigungen aus und schaffe Zeiten, an denen du nicht erreichbar bist.
Methoden:
- App-Nutzung: Verwende Apps wie „Forest“ oder „Freedom“, um den Zugang zu sozialen Medien und anderen ablenkenden Seiten zu blockieren.
- Digitale Detox-Zeiten: Plane regelmäßige Phasen ohne elektronische Geräte, um die Konzentration zu trainieren.
4. Herausforderungen annehmen
Flow entsteht am ehesten, wenn die Aufgabe weder zu leicht noch zu schwer ist. Beim Schach spüre ich Flow besonders dann, wenn ich durch eine Partie oder Trainingsaufgabe gefordert, aber nicht überfordert werde.
Im beruflichen Kontext ist es genauso: Aufgaben, die herausfordern und volles Engagement erfordern, bieten die besten Voraussetzungen, um den Flow-Zustand zu erleben. Also ein guter Grund dafür, immer mal wieder die Komfortzone zu verlassen und ein kleines bisschen über sich hinauszuwachsen.
Das bedeutet auch, sich an neue oder schwierigere Aufgaben heranzuwagen. Schöner Nebeneffekt: Herausforderungen fördern nicht nur Flow-Erleben sondern auch Wachstum. Denn Wachstum entsteht vor allem dort, wo man sich ein kleines Stück über die eigenen Grenzen hinaus wagt.
Tipp für die Umsetzung:
Suche dir gezielt Aufgaben, die anspruchsvoll, aber machbar sind. Reflektiere nach Abschluss, was du gelernt hast und wie du gewachsen bist.
Methoden:
- WOOP-Methode: Nutze diese Technik (Wish, Outcome, Obstacle, Plan), um Herausforderungen klar zu definieren und zu bewältigen.
- Feedback einholen: Lass dir regelmäßig Rückmeldungen zu deinen Leistungen geben, um dich gezielt weiterzuentwickeln.
5. Der Leidenschaft folgen
Flow-Erleben tritt oft bei Aktivitäten auf, die uns begeistern und motivieren. Schach begeistert mich, weil ich dabei meine Stärken nutzen und Neues lernen kann. Das Gleiche gilt für meinen Arbeitsalltag: Wenn ich mich mit Themen beschäftige, die mich inspirieren, fällt es mir leicht, mich zu vertiefen.
Finde heraus, welche Aufgaben dich persönlich begeistern. Indem du dir Projekte suchst, die deinen Interessen und Stärken entsprechen, sorgst du dafür, dass deine Arbeit Sinn stiftet und Flow begünstigt.
Tipp für die Umsetzung:
Frage dich: Welche Aufgaben machen mir besonders viel Freude? Kann ich diese stärker in meinen Arbeitsalltag integrieren? Was sind meine persönlichen Stärken und kann ich diese bereits jetzt voll im Arbeitsalltag einbringen? Welche zusätzlichen Aufgaben könnte ich übernehmen, um meine Stärken noch mehr einzubringen?
Methoden:
- Stärkentest: Nutze Tools wie den VIA-Strengths-Test, um deine individuellen Stärken zu identifizieren und gezielt einzusetzen.
- Motivationsanalyse: Finde heraus, welche Projekte oder Themen dich wirklich antreiben, und versuche, mehr davon in deinen Alltag zu integrieren.
Fazit
Flow ist kein Zustand, der nur Spitzensportler:innen oder Kreativen vorbehalten ist – auch im Berufsalltag kann er erlebt werden. Klare Ziele, feste Fokuszeiten, das Minimieren von Ablenkungen, Herausforderungen und Leidenschaft sind die Schlüssel dazu.
Probiere es aus und schaffe dir Rahmenbedingungen, die es dir ermöglichen, in die Arbeit einzutauchen – und vielleicht vergisst du dabei für einen Moment alles um dich herum.